von Manfred Schneckenburger
Thomas Hak stellt viele Fragen an die Malerei, aber er stellt die Malerei nicht in Frage. Er betrachtet die äußere Realität nicht als "zerbrochenen Spiegel" (so der Titel einer programmatischen Ausstellung jüngerer Malerei), sondern als Appell an Brechungen (nicht Brüche), Rhythmisierendes, vielfältig zusammengefügtes Kaleidoskop. Seine sanfte Obsession ist ein unbeirrbarer Glauben an die Malerei und ihr reiches Potential, die blühende Schönheit der Welt und ihrer Vegetation mit vital dekorativen Mustern ins Bild zu setzen. Er malt Zuströme aus der mozarabischen Ornamentik, auf die er in Spanien traf, und nimmt Einflüsse aus der chinesischen Malerei herein, denen er sich auf seinen Reisen nach Ostasien öffnet. Er hat nicht einmal Scheu vor der Nähe zu Tapeten, denn er kann sich auf seine malerische Direktheit, auf die spontane Dynamik seines Pinselzuges verlassen, die sich jedem repetitiven Schema entziehen. Er flicht daraus eine Welt von floralem Überschwang, in der Pflanzen und Blüten wuchern, aber auch Architektonik und Raster Halt geben. Je nachdem, welcher Zug überwiegt, unterlegt er die Bilder mit sich kreuzenden Orthogonalen und Schrägen oder breitet einen üppigen Blumenteppich aus.
Hak verflicht also, mit fast traumwandlerischer Sicherheit, zwei fundamentale Impulse der Malerei: konstruktive Ordnungen, das Über-, Neben- und Ineinander fester Pinselzüge, die er wie Balken einzieht. Daraus gehen ein baumeisterlicher Grundzug und große wie kleinteilige Rhythmen hervor. Neben dem Gerüst entlädt er jedoch auch ein blühendes Gerank, das die Architektonik mit einer eigenen Triebkraft sprengt und auflöst. Hak ist, um den Titel eines Bildes aufzugreifen, ein "Turmbauer", doch der Turm ragt über Babel hoch und ist sichtbar vom Einsturz bedroht. Oder von den Wachstumskräften des Lianen- oder Heckengeflechts. Ein Bild heißt "No Breda" und knüpft sich an die berühmte Darstellung der Übergabe von Breda von Velazquez. Hak reduziert die Komposition auf ihr schiere Struktur. Ein Wald von Lanzen addiert sich zu vertikalen weißen Parallelen vor gelbem Grund, die wie weiße Rinnsale von oben nach unten laufen. Das Zentrum, die Schlüsselübergabe, tritt hinter der Vergitterung zurück. In expliziter Spannung zwischen Architektur und Heckenwuchs steht der spanische Renaissancepalast "El palacio de Avellaneda", ein mediterraner Dornröschenschlaf, der vom subtilen Fond perspektivischer Verkürzungen hintergangen wird.
Im Verlauf des Werkes überwuchert der Anschein von Vegetation das feste Gebäude und das Cloisonné der Umrisse immer mehr. Kreuzungspunkte heben sich als Fleckenmuster heraus - ein patziger Rhythmus löst sich ab und entzieht sich dem queren Fachwerk des Pinselgebälks. Die Streifen werden in explosiven Zentren gesprengt, bersten, bis sie wie leichtere Spreu zum Rand hinstreben. So besitzt jedes Bild seinen eigenen Rhythmus zwischen Verdichtung und Lockerung: eine Energie, die Flächen in Bewegung versetzt und in lebendige Kraftfelder verwandelt.
Hak bringt seine Anregungen oft von Reisen mit. Spanien, China, Kalifornien, Frankreich steuern Formate, Stimmungen, Andeutungen von Motiven bei. Aber auch sein persönliches Umfeld spricht mit. An den Backsteinmauern des alten Schulhauses, das sein Atelier beherbergt, pflanzt er Heckenrosen und Weinlaub hoch. Als "Interventionen" haben die Pflanzungen einen festen Ort in seiner Malerei. Ein besonntes Glück im Winkel, dem der Maler sich mit besonderer Liebe, fast Zärtlichkeit nähert. Die Serie der Heckenrosen macht ihren steinigen Mauergrund vollkommen unsichtbar. Die Pinselschrift verliert ihre Umrisse, weiße, rosa und gelbe Blumen beginnen frei zu atmen und zu duften, so leicht und locker schwebt der Pinsel über die Leinwand hin. Ein Hauch von Himmel mischt sich ein. Wie schön darf Malerei sein, fragt ein Freund von Hak zu Recht. Er fragt dabei nicht nach den Grenzen zur Gefälligkeit und zur ästhetischen Naivität. Er gerät ins Schwärmen, denn die sinnliche Verführung dieser Bilder ist ungetrübt. Jedenfalls sind die besten dieser gemalten "Interventionen" nicht nur wunderbar hingestrichen, sondern schlagen Brücken zu Monets Garten in Giverny mit seinen Seerosenteichen. Hecken werden zu blaugrünen Wasserflächen, auf denen die Blüten fluten und malerisch mit Licht der Sonne verschmolzen sind. Dennoch bleiben bei dem Münsteraner noch horizontale Elemente, die das Wasser strukturieren - Reste des Baumeisterlichen wird Haks Malerei auch im Reflexgewimmel selten los. Erst die jüngsten Hecken mit ihren Rosen kommen ganz aus dem quirlenden Pinselstrich. Jetzt finden Hecken und Rosen zu einer Einheit, in die blauer Himmel fließt. Endlich, peinture pur, Bilder ganz aus den Mitteln einer blühenden Malerei.
Kontern in den 90er Jahren die müden Farben immer wieder diese Wirkung durch eine schläfrige Harmonie? Gelbe, ziegelrote, grüne, weißblaue Streifen und Fetzen vor hellem Grund? Selten war in der Farbe so viel Widerstand gegen die Sprengkraft der zerrissenen Struktur. Selten federte ein helles Gelb die Entladungen so weich ab. Selten war so viel Einbettung von eindeutiger Energie. Auf diese Weise wird jedes Bild auch ein Balanceakt zwischen Sprengkraft und farblicher Abmilderung, zwischen Störfeuern und koloristischer Besänftigung im unaufgeregten Zusammenklang.
Erst neuerdings kann statt dem Architektonischen oder Kaleidoskopischen auch Landschaftliches mit stark dekorativem Einschlag stehen. Erst jetzt treten die Farben, besonders das Rot, mit plakativer Strahlkraft hervor. Ein Horizont begrenzt Mohnfelder. Doch dann führt die Serie der Mohnbilder mitten ins Feld, das von allen Seiten über uns hereinzubrechen scheint. Ein neuer farbiger Aktionismus vor Grün und kleingetüpfeltem Gelb, bei dem Klatschmohn amöbenhafte Konturen annimmt. Dann wieder fliehen rote Flecken vor weißen Grund immer weiter in die Tiefe, werden kleiner, schmelzen zusammen, stoßen sich am oberen Rand - bewegte Raumtiefe, gegen jede Farbperspektive, rein aus den Energien des fluchtenden Fleckengewirks.
Ist Hak so ein Maler der Strukturen, der Muster, der Stimmungen oder der Abstraktion? Das fragt nicht nach dem Avancement, was im 21. Jahrhundert ohnedies keinen Sinn machen würde. Doch die Vielzahl der Optionen legt nahe, dass er kein schlichter Vitalist der natura naturans, sondern ein komplexer Maler mit reichen Mittel und ohne Vorbehalte ist. Einzelne Bilder tragen Spuren des Augenscheins, sie illusionieren sogar die Perspektive eines Palastes oder zeigen hängendes Weinlaub. Andere wirken über schweifende Assoziationen an die Fülle des Floralen. Die Heckenrosen blühen nahe bei der Natur und sind doch peinture pur. Etliche Bilder finden ihren eigenen Klang im Umkreis von Ornament und Dekor. Letztlich fluktuieren alle Bilder zwischen Struktur, Muster, und - noch wichtiger - freiem malerischem Zugriff, mit wechselnden Stimmungen als farbiger Lebensluft.